Lehrgang zum Thema Erstbegehen oder: Und Spaß muss es auch noch machen
09.-10.04.2022
Ein Lehrgang im April birgt unweigerlich die Gefahr, dass die lokale Wetterlage unter Umständen schwer vorherzusagen ist. So wanderten in der Vorbereitung des Lehrgangs die Blicke immer wieder gespannt zur Wettervorhersage, wo sich das Pendel zwischen strahlendem Sonnenschein und Weltuntergang schön die Waage hielt. Im Großen und Ganzen hat die Wettervorhersage dann auch Recht behalten.
Wohl der Lehrgang, der im Vorfeld bei uns Athlet:innen die meiste Vorfreude ausgelöst hat, da ungefähr 85 % des Kaders auf dem Gebiet Erstbegehen keinerlei Erfahrung vorzuweisen hatte.
So durften wir dann am Freitagabend mit Chris-Jan Stiller und Tino Tanneberger zwei der aktivsten Erstbegeher der Sächsischen Schweiz auf der Weixdorfer Hütte in Hohnstein begrüßen, die uns im Verlauf des Wochenendes die Grundlagen des Erstbegehens vermittelten.
Nach etwa einem halben Jahr Vorbereitungszeit konnten wir am Freitag aber vor allem erstmal unsere Team-T-Shirts anprobieren, die ich gar nicht näher beschreiben will, weil ein Bild hier mehr als tausend Worte sagt. Nur so viel: Sie sind ziemlich cool geworden.
Freudige Überraschung für den Samstag: Bernd Arnold persönlich traf sich mit uns in Hohnstein und hat uns ins Brandgebiet mitgenommen. An der Clementine konnten wir im „Westweg“ (VIIa) und in „Senkrecht bis Überhängend“ (VIIIa) die Muskeln aufwärmen, um dann „Modern Art“ (eine richtig schwere IXc) auszubouldern, was uns aber nicht so recht gelingen wollte. Auf der anderen Seite des Lagers wurden währenddessen die Skyhooks rausgeholt und wir konnten die verschiedenen Modelle zwischen professionell und Marke Eigenbau durchprobieren. Die Erstbegeher erklärten uns derweil, welcher Skyhook wo hält (beziehungsweise wo eher der Fels nachgibt als der Skyhook), wie Karabinerschlingen gelegt werden und wie man in mehreren Skyhooks hängend am besten sein Gewicht verlagern kann. Obwohl unser Abstand zum Boden einen halben Meter nicht überstiegen hat, hatten wir doch zu tun, Vertrauen zu den kleinen Metallkrallen aufzubauen und das beständige Kribbeln unserer in den Sitzschlaufen hängenden, sauerstoffdepletierten Beine zu ignorieren.
Als final niemand mehr Lust hatte, einen weiteren Versuch in die Einstiegscrux von „Modern Art“ zu starten, haben wir Bernd Arnold verabschiedet (und uns mit ihm für den Abend verabredet), um trockenen Fels zu suchen. Das Wetter war uns gnädig und hat uns einen sonnigen, aber kühlen Nachmittag beschert, den wir an den steilen Touren der Riesenechse verbracht haben. Hier wurden noch einige Wege geklettert, darunter „Siegfrieds Schwert“ am Drachenkopf (Tino und Chris-Jan), „Unterwegs nach Borneo“ (Kai und Svante) und der „Triathlon“ (Ronja und Lara). In Erinnerung bleiben wird uns Janniks Performance in „Night Swimming“ (Xc), die er sich bis zum letzten Ring erkämpft hat – eine beeindruckende Leistung!
Der Hunger hat uns schließlich zurück zur Hütte geführt, wo wir das Felskader-Universalgericht (Nudeln mit Gemüse) für alle auf den Tisch gezaubert haben. Auch Bernd Arnold ist wieder zu uns gestoßen und so konnten wir in großer Runde Tino zuhören, der über das Erstbegehen in Sachsen aus dem Nähkästchen geplaudert hat – tatkräftig unterstützt vom Bernd, der uns nicht nur als begnadeter Erstbegeher, sondern auch als ein wandelndes Geschichtsbuch beeindruckt hat. So konnten wir uns von ihm die Geschichte anhören, welche Wirrungen bei der Erschließung der letzten drei großen Probleme des Elbsandsteingebirges in den Sechzigern entstanden und warum in „Roberts Rippe“ zwei Ringe an derselben Stelle stecken. Außerdem waren wir verblüfft darüber, dass die Frage, ob man barfuß oder mit Schuhen klettern, vor allem auch davon abhängt, ob man mit der Brusteinbinde oder einem Hüftgurt vorsteigt. Nebenher haben wir übrigens mal ausgerechnet, dass Bernd Arnold (alle seine Erstbegehungen zusammengerechnet mit einer halben Stunde pro Ring) einen guten Monat seines Lebens beim Ringeschlagen auf Kronbohrer eingedroschen hat.
Beim Frühstück am Sonntag waren wir noch guter Dinge, nur schwang das Wetterpendel dann doch zurück und hat uns mit Hagelschauern im Stundentakt eingedeckt. So mussten unsere Pläne, nach all der Theorie nun auch selbst mal ein Stück Fels zu erschließen, vorerst aufgeschoben werden und wir beschlossen, uns die Technik des Ringschlagens stattdessen bei Sanierungsarbeiten am Dresdner Turm in Rathen anzuschauen. Unter Leitung von Chris-Jan Stiller wurde dann der erste Ring (Arnold-Original!) des Osterspaziergangs sowie der zweite Ring der Magistrale gewechselt und wir konnten auf diese Weise zumindest lernen, in welchem Winkel der Bohrer zum Fels stehen muss und wie ein Edelstahl-Klebehaken versenkt wird. Jetzt hier mit einem Kronbohrer in den Felsen zu meißeln kann sich niemand so recht vorstellen, was die Leistungen der alten Garde umso beeindruckender erscheinen lässt.
So richtig gemütlich ist es im besten Aprilwetter am Sonntag aber nicht geworden, sodass wir nach getaner Arbeit zügig die Zelte abgebrochen und den Heimweg angetreten haben.
2 Wochen später
Das Wetter ist besser und die Motivation ist auch da, unsere beim Lehrgang in Rathen ausgespähten Projekte jetzt auch in schicke Routen zu verwandeln. Deswegen haben wir uns zu einem inoffiziellen Felskadertreffen verabredet und treffen uns wieder im Raaber Kessel. Die Mädels haben den Plan, ein begonnenes Projekt von Tino in der Schartenseite des Dresdner Turms zu beenden, die Jungs haben während des Lehrgangs schon in der Scharte zwischen Amselspitze und Massiv Neuland an der Vexiernadel entdeckt. Wir wärmen noch ein wenig die Muskeln in den schönen Talseitenrouten des Dresdner Turms und „Das muss kesseln!“ an der Amselspitze auf, dann geht es ans Werk.
Vexiernadel – Staffellauf IXb (RP IXc)
Unsere geplante Route steigt die Verschneidung des alten Wegs auf die Amselspitze ein. Die Linie ist klar, nur das Sturzgelände ist nicht so berauschend. Kai übernimmt den Vorstieg für diesen Teil. Nach etwa 8 Meter setzt schließlich die Kante der Vexiernadel ein. Der Übertritt von Verschneidung zur Kante ist wackeliger als er von unten aussieht, auf der Kante lassen sich aber erstmal Schlingen legen. Kai steigt noch ein wenig höher, als aber klar wird, dass die Schwierigkeit wieder anzieht, macht er sich an Skyhooks fest und schlägt unseren ersten Ring.
Christoph: Von hier aus übernehme ich den Vorstieg. Es geht links der Kante an einigen Rippen nach oben, die Schwierigkeit zieht an. Unser Routenverlauf sieht vor, wieder um die Kante zu queren, um eine rechts einsetzende Rissspur mitzunutzen. Da der Zug um die Kante die Crux zu werden scheint und wieder akute Aufschlaggefahr in die Blöcke besteht, setze ich einen Skyhook in eine kleine Mulde und lege eine Kevlarschlinge in eine der Rippen, was gerade ausreicht, um mich um die Kante zu lehnen und den zweiten Ring zu schlagen.
Svante: Nachdem ich entspannt im Nachstieg zum schon gesetzten zweiten Ring geklettert bin, nehme ich mir kurz die Zeit um die Skyhookstelle von Christoph zu bewundern. Was soll ich sagen – ich hätte mich da nicht reingesetzt und erst recht nicht um die Kante gebeugt :) Das Ausbleiben des typischen “PLING!”, wenn der Skyhook nicht hält, grenzte an ein Wunder! Die ersten Versuche den Zug um die Kante zu klettern scheitern zwar am fehlenden Gleichgewicht, aber nachdem ich die richtige Körperposition gefunden habe erreiche ich den Riss und kann das erste Mal gut klemmen. Dort bastele ich in Ruhe ein paar Ufos und Schlingen in denselben und nach den relativ leichten nächsten Metern kann ich am Ende des Risses den dritten Ring komfortabel aus super Schlingen setzen – Ich brauche nicht mal einen Skyhook, die waren also eher Trainingsgewicht.
Der Rest ist dann Formsache und oben genießen wir den Ausstieg des Südpfeilers. Wir haben den Weg - aufgrund unserer geteilten Führung und Ringinstallation „Staffellauf“ genannt. Einen Konsens für die Schwierigkeit zu finden, war dagegen nicht so leicht – wir haben uns schlussendlich auf IXb geeinigt (siehe folgendes Bild).
Dresdner Turm – Learning by doing (inzwischen IXa (RP IXb))
Ronja: Ab dem ersten Ring (den Tino bei früheren Versuchen bereits installiert hatte) ging für mich das eigentliche Neuland los. Jedoch war es schwer überhaupt einen Anfang zu finden, da das Gestein zum Teil sehr bröselig war und die Stelle direkt über dem Ring für mich sehr schwere Einzelzüge besaß. Ich hatte viele Fragen im Hinterkopf wie „Ist das Band oben, von dem aus ich den nächsten Ring schlagen will überhaupt gut genug dafür? Was wenn mir dort ein Griff ausbricht? Ist dann die Sturzhöhe noch passabel?“ Mit diesen Unsicherheiten fertig zu werden, fand ich nicht einfach. Schlussendlich brauchte es sehr viele Versuche und Stürze, bis ich die Höhe erreichte, von der aus ich den nächsten Ring schlagen konnte. Sein ganzes Gewicht den Skyhooks anzuvertrauen stellte ein völlig neues Gefühl für mich da und ich war mir die ganze Zeit nicht sicher, ob die, die ich gelegt hatte, wirklich halten würden. Mit der Bohrmaschine gegen den Felsen anzukommen kostete mich nochmal viel Kraft. Am Ende waren aber alle Herausforderungen überwunden und ein zweiter Ring saß. Ein überwältigendes Erlebnis, da ich anfangs nicht wirklich an ein erfolgreiches Ergebnis geglaubt hatte.
Johanna: Hui – für die Stelle zum zweiten Ring musste ich ganz schön kämpfen. Glücklicherweise lässt der weitere Wegverlauf etwas gängigeres Gelände vermuten. Und tatsächlich: Ein Hand-Faust-Riss lädt zum Klemmen und Schlingenlegen ein. Das vermittelt zumindest ein Gefühl von bekannterem Terrain. Eine geeignete Stelle für den benötigten dritten Ring ist dann auch schnell gefunden. Von hier aus geht es dann auf den Pfeiler und entlang Tinos “El Cap Spire” zum Gipfel.
Stolz tragen wir uns ins Gipfelbuch ein und betiteln unseren Weg mit “Learning by doing” - schließlich handelt es sich hierbei um unsere erste Erstbegehung mit für uns vorher ganz unbekannten Geräten und Handgriffen. Letzten Endes haben wir den Schwierigkeitsvorschlag VIIIc vergeben (siehe folgende Bilder).
Was wir vom Lehrgang mitnehmen? Dass wir jetzt an jedem Ring anhalten und uns fragen werden, an welcher kleinen Felszacke die Erstbegeher:in beim Ringschlagen wohl gehangen haben mag. Und natürlich Svantes plausibler Einwurf als wir skeptisch in unseren Skyhooks saßen: Egal wie gruselig die Sicherung oder wie gefühllos die Beine sind- Spaß muss es trotzdem machen!
Denn wie ein weiser Mensch einst sagte - der beste Kletterer ist der, der am meisten Spaß dabei hat.